18.04.2024 | Flexible Arbeitszeiten, Work-Life-Balance oder die Möglichkeit berufliche Auszeiten zu nehmen: Für den Berufseinstieg wünscht sich die junge Generation Arbeitszeiten, die zum Leben passen.
Nicht nur Absolvent*innen, sondern viele Arbeitnehmer*innen legen zunehmend Wert auf ihre Work-Life-Balance, um Arbeit und Privatleben besser vereinbaren zu können. So stehen attraktive Arbeitszeitmodelle, mobile Arbeit, verkürzte Vollzeit oder Jobsharing hoch im Kurs. Hinzu kommen Diskussionen über die 4-Tage-Woche.
Gleichzeitig wollen viele Berufseinsteiger*innen voll durch starten und legen ihren Fokus auf schnellen Aufstieg und hohe Gehälter. Widerspricht sich das? Bekommt die Industrie beides unter einen Hut?
Die Interessen der einzelnen Beschäftigtengruppen je nach Lebensphase können sehr unterschiedlich sein. Arbeitszeitflexibilität steht hoch im Kurs. Gut zu wissen, dass Flexibilität in dieser Frage aufgrund gewerkschaftlicher Aktivitäten schon heute möglich ist. Wir möchten das am Beispiel der Metall- und Elektroindustrie verdeutlichen.
Happy Birthday 35-Stunden-Woche
Mittlerweile 40 Jahre ist es her, dass die IG Metall den Einstieg in einen Branchenstandard durchsetzen konnte, die 35-Stunden-Woche. 1984 streikten Arbeitnehmer*innen in der Metall- und Elektroindustrie für die Durchsetzung der Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Basis war die Umverteilung der vorhandenen Arbeit auch vor dem Hintergrund einer höheren Arbeitslosigkeit. Mit dem Arbeitskampf gelang der Einstieg in die Verkürzung der Wochenarbeitszeit. 1995 wurde sie dann endgültig in der Metall- und Elektroindustrie ohne Entgeltverlust eingeführt.
Von diesem Standard profitieren IG Metall-Mitglieder, egal ob in der Produktion oder als Ingenieur beschäftigt, noch heute. Wichtig ist hierbei zu betonen: Für Kolleg*innen, die sich vorstellen können mehr zu arbeiten, ist Mehrarbeit bei einem entsprechend höheren Entgelt auch möglich. Für eine bestimmte Beschäftigtenanzahl kann der Arbeitgeber auf freiwilliger Basis individuelle 40-Stunden-Arbeitsverträge vereinbaren. Diese erhöhte Stundenzahl kann jederzeit, sowohl arbeitnehmer- als auch arbeitgeberseitig mit einer Ankündigungsfrist von drei Monaten auf die Regelarbeitszeit von 35 Stunden reduziert werden.
Verkürzte Vollzeit und T-ZUG
Auch nach dem Berufseinstieg ergeben sich weitere Möglichkeiten, die Arbeitszeit flexibel zu gestalten. Ausschlaggebend dafür war die Tarifrunde 2018. Seitdem können Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie über ihre Arbeitszeit stärker selbst bestimmen. Sie haben die Wahl, ihre Arbeitszeit zeitweise auf verkürzte Vollzeit zu reduzieren, d.h. bis auf 28 Stunden. Wer Kinder erzieht, Angehörige pflegt oder in Schicht arbeitet, kann außerdem zusätzliche acht Tage im Jahr freinehmen.
Die verkürzte Vollzeit können alle Beschäftigten beantragen, die Vollzeit nach Tarif arbeiten (also 35 oder länger). Zudem müssen sie mindestens zwei Jahre im Betrieb sein. Möglich sind 6 bis 24 Monate. Nach Ende der vereinbarten Laufzeit geht die Arbeitszeit wieder automatisch zurück auf normale Vollzeit. Der Beschäftigte kann aber auch einen Folgeantrag stellen und weiter in verkürzter Vollzeit arbeiten. Der Arbeitgeber kann den Antrag nur in begründeten Fällen ablehnen, etwa wenn bereits 18 Prozent der Belegschaft in verkürzter Vollzeit und Teilzeit arbeiten. Mit diesem Tarifabschluss hat die IG Metall auch maßgeblich das Brückenteilzeitgesetz mit auf den Weg gebracht und damit für Beschäftigte in tarifgebundenen Unternehmen, de facto hauptsächlich Mütter, der Teilzeitfalle etwas entgegen gesetzt.
Antrag auf die zusätzlichen acht freien Tage können Kolleg*innen stellen, die zum Beispiel Kinder unter 8 Jahren im Haushalt haben oder Angehörige pflegen. Voraussetzung hierfür ist eine betriebliche Zugehörigkeit von zwei Jahren.
Betriebliche Regelungen
Neben den tariflichen Leistungen aus dem Flächentarifvertrag profitieren Beschäftigte auch von betrieblichen Regelungen, die vor allem zustande kommen, wenn es starke Betriebsrätinnen und Betriebsräte gibt. Unter anderem werden in sogenannten Betriebsvereinbarungen Themen wie mobiles Arbeiten, Sabbatical, Freistellung für Weiterbildung und Rückkehr aus Teilzeit geregelt.
4 Tage Woche? Wünsche der Beschäftigten berücksichtigen
Spätestens seit der Tarifrunde in der nordwestdeutschen Stahlindustrie, wird die 4-Tage-Woche diskutiert. Als IG Metall forderten wir die Reduzierung der derzeitigen Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden in dieser Branche. Neben einer verbesserten Gesundheit und Lebensqualität der Beschäftigten, spielen dabei auch eine attraktivere Gestaltung der Branche sowie der Erhalt von Arbeitsplätzen eine Rolle. Eine Idee mit Vorbildcharakter?
Laut einer Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) befürworten 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten eine 4-Tage-Woche, etwa drei Viertel jedoch nur bei gleichem Lohn. Gründe dafür sind neben gesundheitlichen Problemen und einer geringeren Arbeitsbelastung vor allem mehr Zeit für Familie und eigenen Interessen. Eine weitere Bestätigung sich verändernder Bedürfnisse, aber auch einer zunehmenden Arbeitsverdichtung.
Ob die Forderungen nach mehr Arbeitszeitflexibilität Eingang in die anstehende Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie finden, wird sich zeigen. Die IG Metall befragt hierzu ihre Mitglieder in den Betrieben. Fest steht, dass die Wünsche der Beschäftigten Eingang in die Diskussion finden.
Für Absolvent*innen lohnt sich, tarifgebundene und mitbestimmte Betriebe für den Jobeinstieg in Betracht zu ziehen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Gutes Entgelt, Arbeitszeitflexibilität und viele betriebliche Regelungen, die den Arbeitnehmenden in ihrem Wunsch nach Work-Life-Balance entgegen kommen. Das sind alles keine Selbstverständlichkeiten. Nur mit starken Gewerkschaften gelingen weitere gute Regelungen im Sinne der Beschäftigten. Umso mehr Mitglieder, desto besser lassen sich Arbeitsbedingungen gestalten.