Interview

„Das Größte ist, offen zu sein für alle Menschen in allen Lebenslagen. Das ist sehr, sehr bereichernd fürs Leben.“

Diversity Management ist mittlerweile ein Muss für jeden Arbeitsplatz. Judith und Anna-Lena – beide Diversity Managerinnen bei VW – erzählen, warum Vielfalt eine Chance ist und eine bunte Belegschaft viele Vorteile mit sich bringt.

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Judith Cremering arbeitet in der Personalabteilung bei der Volkswagen Osnabrück GmbH und betreut hier das Diversity Management.

Anna-Lena Schmitz ist nach 10 Jahren in der Logistik nun als Personalreferentin für Diversity und Unternehmenskultur in der Personalentwicklung der Volkswagen Osnabrück GmbH zuständig.

Diversity Manager_in – was ist das Neue und das Innovative an diesem Beruf?

Anna-Lena: Das Neue beziehungsweise Innovative ist, dass es in vielen Unternehmen überhaupt erst seit Kurzem Diversity gibt als wirkliche Abteilung. Hier geht es vor allen Dingen darum, zu schauen, dass unterschiedliche Gruppen von Menschen – sei es die Herkunft betreffend, Nationalität, Sexualität, Alter, et cetera – gleichberechtigt im Unternehmen gefördert werden, sodass wir alle besser für die Zukunft aufgestellt sind. Denn Diversity ist ein wichtiger großer Faktor im Hinblick darauf, wie erfolgreich ein Unternehmen sein kann und den Weg in die Zukunft bestreitet.

Was gehört alles zur Diversität?

Judith: Es gibt laut der Charta der Vielfalt sieben unterschiedliche Faktoren: Alter, ethnische Herkunft beziehungsweise Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung sowie soziale Herkunft.

Welche Ausbildung und Voraussetzungen sind für den Beruf eines_einer Diversity Manager_in wichtig?

Anna-Lena: Natürlich ist es förderlich, wenn man in der Sparte der Personalentwicklung einen Ausbildungsberuf erlernt oder auch ein Studium absolviert hat. Aber ich persönlich bin Quereinsteigerin. Ich bin gelernte Speditionskauffrau und habe danach noch BWL studiert. Das Wichtigste ist, dass man gerne mit Menschen zusammenarbeitet und zur Gleichberechtigung sowie Unternehmenskultur beitragen möchte.

Warum ist dieser Beruf besonders attraktiv für junge Menschen?

Anna-Lena: Ich glaube, wir bewegen uns gerade in einer sehr, sehr spannenden Zeit, weil sich viel tut: Viele junge Menschen gehen auf die Straße, wollen Veränderung. Es geht um Klima, aber auch um Gleichberechtigung. Die jungen Leute wollen die Welt besser machen. Gerade in diesem Beruf kann man in Richtung Unternehmenskultur mit Diversity sehr viel bewegen. Wenn man jetzt gerade am Anfang seines Arbeitslebens steht, ist es sehr spannend, den Job so mitzugestalten, wie man selbst sein Arbeitsleben erleben möchte.

Was sind Herausforderungen in diesem Beruf?

Judith: Meines Erachtens ist die größte Herausforderung, dass viele Minderheitengruppen sich ungern selber als Minderheit sehen. Sei es aus sexueller Sicht oder aus geschlechtlicher Sicht, also Frau und Mann. Wenn man versucht, Themen anzubieten, die gezielt Frauen ansprechen, hat man häufig den größten Gegenwind von Frauen selbst. Viele empfinden die Maßnahmen zur Gleichberechtigung als speziellen Förderbedarf für Frauen. Sie fühlen sich als Frau nicht in der Art und Weise wahrgenommen, wie das bei einem Mann wäre. Es ist schwer zu kommunizieren, dass wir diese Bemühungen nicht unternehmen, weil wir glauben, dass Frauen nicht geeignet sind für den Job, oder spezielle Unterstützung benötigen, sondern weil es einfach schwieriger ist, sich in einem Job durchzusetzen, der bisher hauptsächlich von Männern getätigt wurde. Wir möchten Hilfestellungen leisten, um die gleiche Basis zu schaffen für alle und möchten keinen Vorteil für Minderheiten erzeugen. Der Hauptfokus liegt auf jeden Fall auf der Gleichstellung von Frauen und Männern, weil wir bei VW immer noch sehr männerlastig sind. Des Weiteren fördern wir das Thema Familie. Das geht zwangsläufig mit dem Thema Gleichstellung einher. Und hier können wir besser ansetzen, weil wir die Kinder ansprechen und nicht die Personen selber. Deshalb funktionieren Maßnahmen zur Unterstützung von Familien sehr gut.

Zudem haben wir noch Maßnahmen zur Förderung von Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Sexualitäten. Und wir bieten Maßnahmen an zur LGBTIQ*-Bewegung. Aber hierzu meldete sich bisher keiner von den 2.300 Beschäftigten. Es scheint noch nicht so weit zu sein, dass diese Personengruppe das auch offensiv auf der Arbeit leben möchte. Aber vielleicht ist allein die Tatsache, dass wir etwas zu diesem Thema anbieten, schon etwas Positives. Wir signalisieren, es gibt noch andere, du bist nicht alleine. Und das wird sicherlich auch so wahrgenommen, selbst wenn das in dem Moment nicht genutzt wird, weil derjenige_diejenige es nicht möchte, kann, braucht.

Anna-Lena: Es ist ein neuer, ein innovativer Beruf. Die Veränderungen basieren hauptsächlich auf weichen Faktoren. Es ist eine spannende Herausforderung, die Themen im Unternehmen sinnvoll zu inkludieren, die den jungen Leuten wichtig sind. Hierfür haben wir Maßnahmen für viele Zielgruppen.

Was sind die Vorteile einer bunten Belegschaft?

Anna-Lena: Ich finde, es ist prinzipiell immer eine Bereicherung, unterschiedliche Menschen kennenzulernen. Eine bunte Belegschaft zu haben, ist ein riesengroßer Vorteil. Und gerade in dieser Position, in der ich arbeite, lernt man natürlich auch viele unterschiedliche Menschen im Unternehmen kennen. Das macht sehr viel Spaß.
Als Diversity-Managerin bei Volkswagen Osnabrück bin ich überzeugt: Vielfalt ist für unser Unternehmen ein Erfolgsfaktor und damit auch ein Business Case. Diverse Teams erreichen bessere Ergebnisse, weil unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt werden. Eine vielfältige Belegschaft spiegelt auch die Vielfalt unserer Kundschaft und deren Befürfnisse. Vielfalt erlaubt also, passgenau Produkte anzubieten. Das wiederum ist die Basis für unsere Existenz – heute und in Zukunft.
Es gibt Beispiele in unserem Konzern, die die Vorteile einer bunten Belegschaft zeigen. Vor Kurzem wurden Sitze für ein neues Auto entwickelt mit einem schönen neuen Bezug. Dann kam die Rückmeldung aus dem Markt, dass sie wirklich schick aussehen, aber der Stoff an den Beinen reibt und es somit unangenehm ist, darauf zu sitzen. Es stellte sich heraus, dass in dem Team, das diesen Sitz entwickelt hat, nur Männer arbeiteten – natürlich mit langen Hosen und niemand hatte daran gedacht, dass Frauen öfter Röcke oder Kleider anhaben.

Judith: Ich habe vor meinem Job als Diversity- Managerin in der technischen Entwicklung gearbeitet, im Versuchsbau. In meiner Abteilung waren zunächst nur Männer. Als ich dann als einzige und erste Frau in diese Abteilung reinkam, war das schon einmal eine Veränderung an sich. Denn nun brauchte man eine Damentoilette und
-umkleide. Die andere Veränderung war, dass ich als Frau eine andere Art habe zu arbeiten als meine männlichen Kollegen. Das hat viel in der Abteilung geändert.

Nachdem ich gegangen bin, um meinen jetzigen Job als Diversity-Managerin anzutreten, wurde im Nachhinein berichtet, dass viel mehr geredet wurde, viel mehr Dinge ausdiskutiert wurden, viel mehr drüber nachgedacht wurde, wie man etwas doch lösen könnte. Und ich habe als Frau auch mehr verbindende Momente in die Abteilung gebracht: Einmal haben wir aus einem alten Magazinschrank einen Adventskalender gebastelt. Und an der Tür stand immer der Spruch der Woche. Immer wenn jemand irgendwas sehr Markantes gesagt hat, das sehr bedeutsam für diese Woche war, wurde das ausgedruckt und an die Tür gehängt. Wenn man zur Arbeit kam, konnte man sich daran erinnern, was das Motto der Woche war, die man zusammen geschafft hatte. Das ist alles erst durch mich gekommen. Dabei geht es nicht hauptsächlich darum, dass ich als Frau in ein Männer-Team gekommen bin, sondern um die Bereicherung eines sehr homogenen Teams durch neue, andersartige Denk- und Arbeitsweisen.

Die Zusammenarbeit von Jung und Alt hat natürlich den Vorteil des Wissenstransfers. Neben diesem Mehr an Wissen haben Ältere aber auch viel mehr Ruhe, gerade wenn es durch stressige Phasen und Projekte geht. Ältere gehen mit Deadlines ganz anders um, weil sie es schon x-mal erlebt haben. Die Jüngeren wiederum haben vor allem eine höhere Technikaffinität.

Sie haben einen intuitiven Umgang mit neuen Programmen am PC. Und was oft schön ist zu sehen: Aufgrund der Sicherheit, die die Älteren vermitteln, preschen die Jüngeren manchmal gedanklich los in Richtungen, an die niemand zuvor gedacht hatte. Und dann kommt etwas ganz Neues, eine neue Lösung heraus – in Teamarbeit von Jung und Alt.

Warum brauchen wir gerade in diesem Beruf auch die IG Metall?

Judith: Auf jeden Fall beim Thema agile Arbeit. Das ist eine hierarchiefreie Arbeit auf Augenhöhe, in Selbstorganisation und Selbstführung. Diese Form der Arbeit kommt meist bei zeitintensiven Projekten zur Anwendung. Der Vorteil einer Führungskraft ist, dass diese auch eine Art Schutzschild ist. Sie verteilt Arbeitspakete, begrenzt sie aber auch, damit sich die einzelnen Mitarbeiter_innen nicht überarbeiten. Bei agiler Arbeit gibt es diese Führungskraft nicht und damit fällt auch deren Schutzfunktion weg bzw. wird sie wieder jedem selber übergeben. Die IG Metall informiert darüber, wie diese neue Arbeitsform funktioniert und wie man sie flankieren kann, damit es nicht damit endet, dass sich die Leute bis in den Burnout arbeiten. Sie gibt Weiterbildungen, wie sich die Leute selber begrenzen können.

Agile Arbeit an sich erfreut sich großer Beliebtheit, weil man sich kreativ und frei entfalten kann in den Bereichen, in die man möchte und in denen man gut ist. Man muss jedoch Acht geben und sich selber Flanken aufstellen. Bisher hat die Gewerkschaft darauf geachtet, dass es elf Stunden Ruhezeit gibt. Jetzt ist man selber gefragt, seine Ruhezeit oder einen Sieben-Stunden-Tag einzuhalten. Beim agilen Arbeiten drohen die Grenzen zu verschwimmen, weil man aufgrund der Flexibilität keine festen Arbeitszeiten mehr hat oder keinen festen Ort, wo man arbeitet. Die Kontrollen, die sonst von außen kamen, sind komplett weg. Und das macht umso mehr deutlich, wie wichtig und notwendig es ist, dass eine Institution wie die Gewerkschaft diese Grenzen mit überprüft und man sich darauf beziehen kann.

In einem Satz: Vielfalt lohnt sich, weil …

Anna-Lena: Das Größte ist, offen zu sein für alle Menschen in allen Lebenslagen. Immer offen zu sein für die unterschiedlichsten Eigenschaften. Das ist sehr, sehr bereichernd fürs Leben, nicht nur fürs berufliche, sondern auch fürs private. Man erweitert immer wieder den eigenen Horizont.