Interview

„Ich hätte niemals gedacht, dass es mir irgendwann wieder so gut gehen kann.“

Psychische Erkrankungen sind häufig mit einem sozialen Stigma belegt. Noch immer glauben viele, eine Depression sei selbst verursacht. Tatsächlich aber handelt es sich um eine Krankheit, noch dazu leider um keine seltene. Depressionen sind weit verbreitet – auch unter Studierenden. Ein Grund mehr, darüber zu reden. Thomas ist 24 Jahre alt, studiert Informatik und erzählt, wie er gelernt hat, diese Krankheit anzunehmen und damit umzugehen. Und wo und wann man sich am besten Hilfe holt.

Foto: Koldunov/iStock

Lieber Thomas, du kennst die Situation, wenn der Druck des Studierens sich psychisch bemerkbar macht …

Es ist nicht so, dass die Krankheit primär durch das Studium ausgelöst wurde, sondern tatsäch- lich durch den Druck. Ich hatte das große Unglück, dass ich pünktlich zu Corona angefangen habe, zu studieren. Das heißt, der Druckfaktor war riesig. Zum einen die ganz konkreten Existenzängste: Wie läuft das mit der Finanzierung des Studiums? Dazu kam noch eine elementare Identitätskrise. Ich habe mich ständig gefragt: Bin ich die einzige Person, die gerade nicht das leisten kann, was von ihr abverlangt wird? Oder ist die momentane Situation in der Gesellschaft auch eine große Herausforderung für viele andere Leute? Aber es ist tatsächlich so – das ist derzeit kein Studieren unter Normalbedingungen, zumal ein Studium auch ohne diese besondere Situation schwierig genug sein kann. Wir haben eine weltweite Pandemie und niemand weiß so richtig, was eigentlich passiert und wie die Zukunft aussieht. Es gibt keinen Masterplan. Niemand sagt einem, wie gut oder schlecht man sein Studium absolviert.

Durch diese dauerhafte Stresssituation habe ich Depressionen entwickelt. Und Panikattacken, die mich unerwartet im Alltag überrumpelt haben.

Wie empfindest du die aktuelle Situation im Studium?

Ich habe gerade angefangen zu studieren. Es gab keine Ersti-Veranstaltungen, um sich erst einmal einzugewöhnen, grundlegende Fragen zum Studium zu stellen oder Kommiliton_innen und Professor_innen kennenzulernen. Man ist immer für sich allein, hat keine Lerngruppen. Dieser fehlende Abgleich und persönliche Austausch ist ein sehr großes Problem. Ich kenne das studentische Leben überhaupt nicht, ich habe es nie gesehen. Ich weiß gar nicht, wie man mit verschiedenen Situationen, die das Studium betreffen, umgeht.

Es wäre leichter für mich, wenn ich Kontakte in der Uni knüpfen und mich austauschen könnte. Denn es gibt auch keine Erfahrungen in meinem Freundeskreis. Und ich kann auch niemanden aus meiner Familie fragen, wie ein Studium funktioniert. Ich komme aus einem nichtakademischen Haushalt und habe einen migrantischen Hintergrund. Ich bin die erste Person in der Familie, die studiert, damit ist der Druck noch einmal höher.

Da kommen viele Dinge zusammen, die meinen Weg erschweren. Man kann eine gewisse Form von Resilienz aufbauen, aber an einem bestimmten Punkt, zumindest bei mir, ist es dann doch zu viel, was unüberschaubar ist. Ich weiß aber auch, dass das nicht nur ein Problem ist, was allein ich habe, sondern viele andere auch.

An welchem Punkt hast du realisiert, dass du es nicht allein schaffst?

Die ersten Panikattacken haben mich sehr überrascht, weil sie komplett aus dem Nichts kamen und ich dieses Gefühl nicht kannte. Und was noch schlimmer war, sie kamen in der Öffentlichkeit. Eigentlich bin ich eine Person gewesen, die relativ gefasst ist, also ohne emotionale Ausbrüche, egal welcher Art.

An das erste Mal erinnere ich mich noch, weil es so heftig war: Ich war unterwegs, es gab nicht einmal einen richtigen Auslöser, sondern die Gesamtsituation, die Zeit war einfach gerade sehr stressig. Für 30 Sekunden oder 60 Sekunden, ich kann es zeitlich gar nicht einordnen, aber es war gefühlt ein sehr langer Zeitraum, musste ich meine gesamte Energie darauf konzentrieren, nicht durchzudrehen. Es war, als wenn alle Gefühle, die jemals in mir existiert haben, hoch intensiv über mich drüber schwappen. Ich hatte Angst, ich wollte eigentlich losrennen, aber ich wusste nicht wohin – das war grausam.

Diese Panikattacken waren fast schon traumatische Erlebnisse, weil da so viel auf einmal passierte. Ich konnte es nicht einordnen, es gab keine konkreten Voranzeichen. Von da an hatte ich Angst, raus in die Öffentlichkeit zu gehen, denn das kann ja überall passieren. Und ich wusste, dass ich das allein nicht bewältigen kann.

Wo hast du dir Hilfe geholt nach dieser ersten Panikattacke?

Ich bin zum Arzt gegangen, da ich so etwas nicht kannte. In meinem ganz persönlichen Umfeld gab es nicht viele Leute, die damit Erfahrung hatten oder mir hätten helfen können. Deshalb habe ich auch nicht viel darüber geredet. Es war mir unangenehm, darüber zu sprechen. Vor allem in meinem migrantischen Umfeld, aus dem ich komme, war das schwierig. Meine Familie gehört weniger zum Bildungsbürgertum, hier ist so etwas nicht als Krankheit anerkannt, man spricht über solche Probleme nicht. Deswegen bin ich zum Arzt gegangen, weil ich festgestellt habe, da ist körperlich etwas, was ich alleine nicht packe. Ich war an einem Punkt, wo ich wusste, es geht nicht anders, alleine laufe ich gegen Wände.

Hast du dich beim Arzt gut aufgehoben gefühlt?

Die Ärzte haben einen sehr offenen Umgang damit. Mein Hausarzt hat sofort gemerkt, hier besteht akut Handlungsbedarf. Er hat mit mir ein halbstündiges Gespräch geführt und eine Verhaltenstherapie empfohlen – mit oder ohne medikamentöse Begleitung. Ich wollte es erst einmal ohne Medikamente versuchen. Die Therapie hat mir sehr geholfen. Ich kann nur jedem nahelegen, solche Möglichkeiten zu nutzen.

Was hast du in der Verhaltenstherapie gelernt?

Ich habe das Gefühl, dass es vielen Menschen an Achtsamkeit sich selbst gegenüber fehlt. Ich habe gelernt, ein gesundes Verhältnis zu mir selbst aufzubauen. Und so auch feststellen zu können: Mir geht es gerade nicht gut, ich ziehe mich jetzt mal zurück. Generell ein Bewusstsein für sich selbst zu schaffen, dafür war diese Verhaltenstherapie gut und hat mir wirklich weitergeholfen.

Wenn man anfällig ist für solche Formen von psychischen Krankheiten, gehen die Probleme nicht komplett weg. Wenn man einmal eine Verhaltenstherapie gemacht habe, bedeutet das leider nicht, dass man danach nie wieder eine depressive Phase haben kann. Aber man lernt einen Umgang damit. Man lernt, damit zu leben und die Reaktionen des eigenen Körpers einzuordnen. Diese Achtsamkeit ist wichtig, um sein Leben zu organisieren und zu wissen, wann man sich auch mal zurücknehmen sollte: Überarbeitung, mich immer weiter pushen, jetzt muss ich das Studium machen, jetzt muss ich noch dies machen, jetzt muss ich das machen … Irgendwann macht der Körper dann zu. Diesen achtsamen Umgang mit mir selbst musste ich lernen.

Bist du gestärkt hervorgegangen?

Ja, auf jeden Fall. Es hat sehr viele gute Aspekte mit sich gebracht. Ich habe manchmal das Gefühl, ich erfinde mich gerade ein bisschen neu, auf ganz vielen Ebenen. Wenn Menschen ähnliche Probleme haben, dann kann ich eine Therapie nur empfehlen. Ich kann verstehen, dass manche vielleicht Berührungsängste hinsichtlich einer Therapie haben, es ging mir ja genauso. Aber jetzt, nach meinem Erlebten, kann ich auch mit anderen darüber sprechen. Und das ist eine enorme Erleichterung. Es wird immer ein bisschen als Schwäche hingestellt, nicht zu „funktionieren“. Dabei ist es wirklich eine Stärke, dass man auf sich selber hört, dass man sich auf sich selber einlassen kann und dann die Stärke hat, sich Hilfe zu suchen und diese aktiv anzunehmen, um sie zukünftig in seinen Alltag einzubinden. Ich bin froh, dass ich die Therapie gemacht habe und mich neu kennengelernt habe.

Wie geht es dir gerade?

Ich hätte niemals gedacht, dass es mir irgendwann wieder so gut gehen kann. Es gibt natürlich immer Problematiken. Ich habe zum Beispiel aktuell ein großes Problem mit meinem Studium. Aber ich glaube, wer gerade kein Problem mit seinem Studium hat, der ist unnormal. Das finde ich befremdlich, wenn man jetzt gerade einfach so, ohne Probleme studieren kann. Aber auf der persönlichen Ebene fühle ich mich sehr gut, ich hätte nie gedacht, dass ich jemals wieder aus diesem Loch herauskommen kann. Das Gruselige fand ich oft gar nicht, dass es diese Momente in meinem Leben gab. Was mich belastet hat, war dieses Gefühl, dass sie nie wieder weggehen werden, ich mich nie wieder anders fühlen werde. Aber ich weiß jetzt, dass dieser Zustand nichts Statisches ist, sondern dass ich daran arbeiten und er damit auch weggehen kann. Für diese Erfahrung von Selbstwirksamkeit bin ich dankbar.

Was würdest du Studierenden raten, wenn sie ein anhaltendes Gefühl von Überforderung haben?

Es ist wichtig, einen guten Umgang mit sich selbst zu lernen. Zum Beispiel, um rechtzeitig zu erkennen, wann es gerade genug ist. Wenn du genug gearbeitet hast, dann musst du auch bewusst Pausen einbauen. Mir ist klar, dass das nicht so leicht ist in vielen Situationen. Gerade im Studium, wo man eigentlich dauerhaft Lern- und Arbeitszeiten hat. Man studiert ja für sich, für seine eigene Zukunft. Trotzdem muss es auch Pausen und Spaß geben. Und wenn man merkt, man kriegt es gerade alleine nicht hin, dann sollte man sich Hilfe holen. Das ist absolut nichts Schlimmes, sondern zeugt von Verantwortung und Stärke.

Jede Hochschule hat eine Psychosozialberatung. Man sollte nicht erst abwarten, bis nichts mehr geht. Besser frühzeitig einen Termin ausmachen. Die können gut einschätzen, an welchem Punkt man gerade ist und was jetzt hilfreich wäre. Meistens sind es ja ganz konkrete Dinge, an denen man scheitert und die deshalb Überforderung auslösen. Zum Beispiel, wenn man schlecht organisiert ist im Studium. Oder man möchte zu viel auf einmal und fühlt sich deshalb überfordert. Eine dauerhafte Überforderung kann dann zu psychischen Problemen führen. Oft können außenstehende Personen diese konkreten Dinge besser erkennen. Deshalb ist es ein sehr guter Schritt, die Hilfe der Psychosozialberatung anzunehmen.

Wenn du bei dir Symptome wie permanente Erschöpfung, ein andauerndes Überforderungs- gefühl, Schlaf- und Essstörungen feststellst, dann suche dir professionelle Hilfe. Zum Beispiel bei der Studentischen Telefonseelsorge (STUTS) – täglich von 20 bis 24 Uhr unter der Rufnummer 040 41170411.