Ohne Stress durchs Studium

Wir schaffen das

Es gibt viel zu tun. Studium, Arbeit und Ehrenamt unter einen Hut zu bringen, ist für viele Studierende eine Herausforderung – und manchmal ganz schön stressig. Doch zum Glück muss keine*r alles alleine schaffen.

Foto: panthermedia/palinchak

Antalia Lindenberg kocht unheimlich gerne. Nichts entspannt sie mehr, als ein paar Stunden lang in ihrer Küche herumzutüdeln. Im Alltag kann sie sich dafür allerdings nur selten Zeit nehmen. Denn statt zu Hause gemütlich vor sich hinzuwirbeln, arbeitet die Master-Studentin zweimal pro Woche in einer Restaurantküche, um ihr Leben zu finanzieren. "Ich muss arbeiten, weil meine Eltern mich nicht unterstützen können und der Studienkredit allein nicht ausreicht", erklärt Antalia. Was sie besonders unter Druck setzt: Wenn sie krank ist, verdient sie nichts, und das Geld fehlt ihr dann. Das kommt in letzter Zeit leider viel zu häufig vor, sagt die junge Frau, die in Bremen Transkulturelle Studien studiert: "Als ich meine Bachelorarbeit abgegebenen hatte, bekam ich sofort eine Bronchitis. Ich werde immer krank, wenn der Stress ein bisschen abfällt - und wenn er zu lange anhält." Neben Arbeit und Studium übt sie außerdem ein Ehrenamt aus. Antalia engagiert sich unter anderem in der IG Metall-Studierendengruppe ihrer Hochschule.

Voll im Stress

Abends feiern und morgens ausschlafen? Dieses Klischee von faulen Studierenden ist überholt. Stattdessen herrschen an den Hochschulen Druck, Überforderung und Stress. Studien belegen, dass gestresste Studierende wie Antalia nicht die Ausnahme sind. In einer Online-Befragung der AOK etwa gaben 53 Prozent an, einem überwiegend hohen Stresslevel ausgesetzt zu sein. Damit fühlen sich Studierende sogar noch etwas gestresster als der Durchschnitt der Beschäftigten in Deutschland, der in Untersuchungen auf fünfzig Prozent kommt.

Der Elektrotechnik-Student Julien Grimm ist seit über einem halben Jahr in psychotherapeutischer Behandlung - mit einer Angststörung, vermutlich stressbedingt. "Es fing damit an, dass ich mich ausgebrannt fühlte, keine Lust auf nichts hatte oder keinen klaren Gedanken fassen konnte", erinnert er sich. Und irgendwann habe es ihn dann richtig umgehauen: "Von einem Moment auf den anderen hatte ich plötzlich einen unnatürlich hohen Puls, konnte eine Hälfte meines Körpers nicht bewegen, meinen Arm nicht spüren, nicht richtig sprechen, sodass ich in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste." Dass Stress körperlich so etwas auslösen kann, hätte Julien vorher niemals gedacht. Schon als Schüler hatte er sich in einem Sport- und Kulturverein engagiert. Bis heute kümmert er sich dort als technischer Leiter darum, dass bei den Veranstaltungen alles läuft - vom Ton über das Licht bis hin zur Organisation. Die Arbeit macht ihm Spaß und er trifft dort seine Freunde. Als er sein duales Studium bei Continental begann, wollte er dieses Ehrenamt weder aufgeben noch abspecken – bis das einfach nicht mehr möglich war. "Der Stoff wird von Semester zu Semester schwieriger und wenn man Klausuren nicht besteht, muss man sie später nachholen. Irgendwann kam bei mir auch der Druck dazu, dass ich das ja jetzt wirklich schaffen muss, damit ich die letzten drei Jahre nicht umsonst gemacht habe", erzählt Julien.

Gefühlt gestresst

Die „Semesterferien“ durcharbeiten und nach Feierabend fürs Studium büff eln. Zwischen Hochschule und Betrieb hin- und herpendeln ... Ein duales Studium gilt als besonders belastend. Und Beispiele wie das von Julien zeigen, dass es tatsächlich zu großem Stress führen kann. Das heißt allerdings nicht, dass dual Studierende im Durchschnitt gestresster sind als andere. Dies jedenfalls ist das erstaunliche Ergebnis einer Studie der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). Rund ein Viertel äußert sich im Studienverlaufspanel kritisch zum Thema Work-Life-Balance – also deutlich weniger als in der AOK-Studie, die klassische Studierende befragt hat. Rund ein Fünftel der dual Studierenden nehmen eine neutrale Position zu dem Thema Work-Life-Balance ein. Und mehr als die Hälfte hat überhaupt kein Problem damit. Für dieses Ergebnis gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Erstens bringt das duale Studium auch ein gewisses Maß an Sicherheit mit sich. Dual Studierende müssen sich beispielsweise nicht um eine Praktikumsstelle kümmern. Und sie haben keine Sorgen, ob sie im nächsten Semester in ihrem alten Job arbeiten oder sich einen neuen suchen müssen, um ihren Wohnheimplatz oder ihr WG-Zimmer zu bezahlen. Zweitens ist es möglich, dass sich vor allem diejenigen für ein duales Studium entscheiden, die ohnehin besonders belastbar oder stresstolerant sind. Und drittens ist Stress etwas, das sich objektiv nur schwer messen lässt. "In allen Studien wird die Selbstwahrnehmung der Studierenden abgefragt, die von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängen kann", räumt Prof. Dr. Ernst Deuer ein, der die DHBW-Befragung durchgeführt hat.

Die AOK-Studie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Einen besonders hohen Stresslevel weisen hier Studierende wie Julien oder Antalia auf, die nebenbei mehr als fünfzehn Stunden pro Woche arbeiten müssen. Die höchsten Stresswerte allerdings zeigen überraschenderweise Studierende, die überhaupt keiner Nebenbeschäftigung nachgehen. Ob Studierende sich gestresst fühlen oder nicht, hängt also nicht allein von Rahmenbedingungen wie der Distanz zwischen Wohnort und Hochschule oder der Anzahl der Arbeitsstunden ab, die sie leisten. Stattdessen spielen auch ganz andere Fragen eine Rolle: Wie organisiere ich meinen Alltag? Welchen Anspruch habe ich an mich selbst? Und wie gehe ich mit meinen Belastungen um? Das sind Punkte, an denen die Studierenden selbst arbeiten können – wenn nötig mit professioneller Unterstützung.

Julien beispielsweise lernt mithilfe seiner Verhaltenstherapeutin Schritt für Schritt, Prioritäten zu setzen und Dinge einfach mal anders zu machen, anstatt nur darüber nachzudenken: "Studium und Arbeit stehen ganz oben, das Ehrenamt im Verein ist auch wichtig. Aber ich lasse jetzt manche Veranstaltungen aus", erzählt er. Letztlich sieht er das Studium inzwischen auch als Gelegenheit, um den Umgang mit Stress zu erlernen: "Wenn man den Abschluss in der Tasche hat, soll man wissen, wie man am besten mit Belastungen umgeht." Antalia hat sich inzwischen auf ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung beworben, von dem sie sich eine große finanzielle Entlastung erhofft. Außerdem schafft sie es immer häufi ger, den Rat ihrer Hausärztin zu befolgen und zwischendurch mal Tage einzulegen, an denen sie alles liegen lässt und sich nur Dingen widmet, die ihrer Seele guttun. Der beste Ort dafür ist natürlich ihre eigene Küche.